22.12.2007 Paris, Élysée Montmartre:
The Vision Bleak Therion
Es gibt Tage, an denen muß man einfach etwas verrückt sein. Oder sehr verrückt. So wie wir. An einem sonnigen Samstagmittag steigen wir in
den Zug nach Saarbrücken, wo wir uns spontan Karten für den ICE nach Paris kaufen. Und auf geht es. In weniger als zwei Stunden erreichen
wir bequem den Gare de l’'Est. Dort angekommen erblicken unsere Augen sofort einen Laden, in dem man Konzertkarten kaufen kann (denn,
bekloppt wie wir sind, haben wir auch keine Karten für’s Konzert und glaubten uns schon auf die Abendkasse angewiesen).
Doch in Paris gibt es auch wenige Stunden vor Konzertbeginn noch Karten an den Vorverkaufsstellen, so daß wir jetzt zumindest sicher sein können, das Konzert
auch zu sehen. Nun wartet erstmal ein Fußmarsch vom 10. ins 18. Arrondissement auf uns.
Das ist garnichtmal so weit und pünktlich zu Konzertbeginn treffen wir am Fuß des Montmartre ein.
Das Élysée Montmartre ist auch als der beste Konzertsaal von Paris bekannt und schon von außen ist das Gebäude mit dem riesigen Ziergiebel
beeindruckend. Im Innern steigt man eine steile Treppe herauf und findet sich dann unvermittelt in dem großen Saal wieder, dessen Decke
mit riesigen Stuckverzierungen verkleidet ist, die einen darauf hinweisen, daß das Gebäude immerhin schon 200 Jahre alt ist. Kann es einen
passenderen Ort für das letzte Konzert der Therion-Jubiläums-Tour geben? Leider gibt es keine Garderobe, so daß man seinen ganzen Kram
während dem Konzert mit sich rumschleppen muß. Dafür darf man aber Getränke mit reinnehmen und kommt so um das mit 5 € pro 0,4 l nicht
gerade billige (und vermutlich auch nicht wirklich schmackhafte) französische Bier herum.
Als wir kurz nach 18:00 Uhr den Saal betreten, haben The Vision Bleak, pünktlich wie ein Uhrwerk, gerade mit dem ersten Song,
The Demon Of The Mire, begonnen. Aber immerhin werde ich heute mehr von der Band sehen als in Straßburg, wo ich die Hälfte des
Auftritts verpaßt habe. Danach geht es stark weiter mit Carpathia. Und da heute der letzte Tag der Tour ist, sind kleine Scherze
unter den Bands erlaubt und so turnen jetzt Snowy Shaw und ein unbekannter Mitstreiter, nur mit den später bei Therion zum Einsatz
kommenden Masken und ganz offensichtlich ausgestopften Unterhosen bekleidet, zwischen den Musikern herum. Dessen ungeachtet spielt
man The Grand Devilry von der The Deathship Has A New Captain. Damit kann man hier immerhin mehr Leute vom Hocker reißen
als noch in Straßburg. Lustig wird es, als Sänger Allen B. Konstanz das Publikum fragt: „Can you say ’ Kutulu!’?“ Aber immerhin sind
sie recht nah dran, die Franzmänner. Leider kommt man anschließend auch schon zum letzten Stück, denn The Vision Bleak haben gerade mal
eine halbe Stunde Spielzeit. By Our Brotherhood With Seth vom aktuellen Album The Wolves Go Hunt Their Prey markiert den
Abschluß des viel zu kurzen Auftritts. Allerdings scheinen die Deutschen in Paris recht gut angekommen zu sein, denn es wird nach einer
Zugabe verlangt, die aber leider nicht gespielt werden kann. Ein super Auftritt der Band, der jedoch wegen der großen Bühnenaufbauten
von Therion, vor denen die Band in einem abgetrennten Bereich spielen mußte, etwas beengt wirkte. Davon gerne mehr!
Doch nun gibt es erstmal mehr Therion. Ganze 2,5 Stunden Show sind zur Feier des 20jährigen Jubiläums angekündigt. Den Auftakt
macht ein Song, der gerade mal die Hälfte auf dem Buckel hat: The Rise Of Sodom And Gomorrha. Rechts und links von der Bühne
postieren sich zwei Frauen als lebende Statuen, maskiert mit den schon aus dem Video zu Son of the Staves of Time bekannten
Verkleidungen. Hier hat auch schon der erste special guest, nämlich die Bauchtänzerin Arien, ihren ersten Auftritt und zeigt
eindrucksvoll, daß Metal durchaus tanzbar ist. Mit Son Of The Sun von der Sirius B gibt es anschließend einen ziemlich
neuen Song bevor man in Secrets Of The Runes-Gefilde zurückkehrt. Bei den ersten Klängen des nächsten Stücks beginnen sich die
lebenden Statuen zu rühren und sich aus ihren Ketten zu befreien. Sie schnappen sich Snowy Shaw und fesseln ihn an den schnell
bereitgestellten Pranger, wo er, bewacht von den zwei Furien, Wisdom And The Cage in nicht gerade angenehmer Körperhaltung singen „
darf“. Doch gegen Ende des Songs wird er von dem mutig mit einer Peitsche gegen seine Peiniger vorgehenden Thomas Vikström aus seiner
mißlichen Lage befreit. Neben all dem Treiben ist auch hier wieder die Bauchtänzerin zugegen. Anschließend stellt Snowy Shaw dem Publikum
die einzelnen Bandmitglieder vor. Das heißt, hier müßte man eigentlich eher Akteure sagen. Dabei hat er für jeden einen witzigen Spruch
auf Lager, z.B. : „You might have Edith Piaf – but we have: Lori Lewis!“ Doch schon nähert sich die Show ihrem nächsten Höhepunkt. Kali
Yuga Part 1 und 2 – und 3, wobei der dritte Teil noch gar nicht aufgenommen ist (das heißt, wir bekommen hier einen neuen Song
zu hören), wird unter anderem von Messiah Marcolin (Ex-Candlemass) und Alt-Sänger Mats Levén gesungen. Eine Höhepunkt jagt den nächsten,
und so kommen wir nun in den Genuß von Lemuria. Allerdings im Akustikgewand mit vier Gitarren. Und als besonderes Schmankerl den
als secret special guest angekündigten ehemaligen Therion-Drummer und -Sänger Pjotr Wawrzeniuk, der unter anderem die Theli mit
eingespielt hat, am Gesang. Nach so viel Akustik darf auch Keyborder und Organist Ferdy Doernberg mal zum Zuge kommen und ein astreines
Orgelsolo hinlegen. Ganz geschickt flicht er dabei die Marseillaise mit ein, womit er sämtliche Franzosen auf seine Seite zieht und „
Szenenapplaus“ verbuchen kann. Mit An Arrow From The Sun und Typhon gibt es dann gleich noch eine Lemuria-
Doppelpackung hinterher. Ginnungagap läutet dann das Ende des ersten Teils ein. Anschließend sind 10 min Pause, bevor es mit dem
kompletten Theli-Album weiter geht.
Für den zweiten Teil des Konzerts wird die Bühne etwas umgebaut und mit großen schwarzen Kerzen geschmückt. To Mega Therion erhält
vokalistische Unterstützung von Pjotr, ebenso wie Cults Of A Shadow. Bei letzterem kommt auch wieder Bauchtänzerin Arien mit auf
die Bühne, die eine beeindruckende Show bietet. Mittlerweile hat das Fieber des Tourfinales auf die einzelnen Bandmitglieder übergegriffen
und zu Nightside Of Eden taucht Snowy Shaw mit typischer Franzosenmütze auf, was zum restlichen Outfit wie die Faust auf’s Auge
paßt und einfach nur herrlich beschissen aussieht. Aber egal, den Franzosen gefällt offenbar jedes Nationalsymbol, das man ihnen unter
die Nase reibt. Damit auch die eigene Identität nicht zu kurz kommt, wird eine von deutschen Fans mitgebrachte Schwedenflagge mit
Therion-Aufschrift über die Bühne getragen. Bei Opus Eclipse darf man sich wieder an der Bauchtänzerin ergötzen und zu
Invocation Of Namaah kommt auch Pjotr Wawrzeniuk wieder auf die Bühne. The Siren Of The Woods ist dann der absolute
Höhepunkt des zweiten Showteils. Und das nicht nur in musikalischer Hinsicht. Lori Lewis und Thomas Vikström glänzen mit
schauspielerischer Leistung, von der sich die meisten Soap Opera-Darsteller noch eine dicke Scheibe abschneiden können. Passend zur
Story bewegen sich die beiden Sänger über die Bühne bis Vikström mit blutbesudeltem Hemd am Boden liegt. Ganz großes Kino! Jetzt kann
auch Sänger Thomas Vikström im Tourfinalefieber in die Vollen greifen und er taucht im Trikot der französischen Nationalmannschaft und
ebenfalls mit Franzosenmütze auf. Sängerin Lori Lewis beginnt dagegen, typisch Frau, mit der Weihnachtsdekoration und staffiert
wahlweise ihre Mitmusiker oder deren Instrumente mit roten Nikolausmützen aus. Mats Levén kommt noch einmal auf die Bühne und dankt
diversen Leuten, allen voran natürlich den Fans, für die absolvierte Tour. Zum Abschluß des Auftritts gibt es das Abba-Cover
Summernight City, das vom Publikum begeistert in immer lauteren Chören mitgesungen wird und die als Adepten verkleideten
Roadies machen eine Polonäse über die Bühne. Stimmungsmäßig der Höhepunkt der Show! Doch einfach so ziehen lassen kann man die
Band nach dieser Show auf keinen Fall und so müssen sie noch einmal auf die Bühne und mit Black Funeral von Mercyful Fate
gibt es ein weiteres Cover, zu dem auch Messiah Marcolin wieder auf die Bühne kommt. Da man die Band aber immer noch nicht gehen
lassen will, gibt es auch noch ein Stück mit Exsänger Mats Levén: The Blood Of Kingdu läßt den Saal noch einmal beben.
Alle Mitwirkenden kommen noch einmal auf die Bühne, um sich von den Fans zu verabschieden und man wirft Drumsticks und Plektren ins
Publikum, wie man das eben so macht. Und was wirft man als Sänger, wenn man eigentlich nix zu werfen hat? Seine miefigen Treter!
Zumindest, wenn man Vikström heißt. Viel Spaß auch damit dem glücklichen (?) Fänger. Geboten wurde ein Konzert der Extraklasse mit
bis zu 5 Sängern auf der Bühne und jede Menge Spaß auf und vor derselben. Therion bieten noch wirklich value for money und stellen
eine Show auf die Bühne, die andere erstmal nachmachen müssen. Einfach Wahnsinn! Und jetzt ist das Konzert und damit die 20 Years
Anniversary Tour zu Ende. Trotz weit über 2,5 Stunden Spielzeit war es viel zu kurz.
Und vor allem bedeutet es für uns jetzt, auf der Straße zu stehen. Denn unser Zug nach Hause fährt erst um 9:00 Uhr ab. Also machen wir
etwas nächtliches Sightseeing und besuchen die Sacre Cœur, die man vom Élysée Montmartre aus schon sehen kann. Und neuerdings gibt es
sogar einen Lift hinauf zur Kirche. Was bitte ist Montmartre ohne seine Treppen? Doch Sacre Cœur und auch der Place du Tertre sind recht
schnell besichtigt und wir wollen uns einen Platz suchen, wo man sich die Nacht um die Ohren schlagen kann. Sollte in Paris ja kein
Problem sein. Denken wir zumindest. Doch wir werden eines besseren belehrt. Alle Straßen, durch die wir laufen, sind nach 1:00 Uhr
komplett tot, sogar der Bahnhof ist geschlossen und nur noch die Bahnhofskneipe ist geöffnet, doch die verfügt über äußerst saftige
Preise, äußerst unfreundliche Bedienung und die Auflage, daß man jede Stunde etwas bestellen muß. Und so verbringen wir die Nacht
größtenteils im Freien. Aber was uns nicht umbringt macht uns nur härter. Und überlebt haben wir auch, sonst hätte ich ja schließlich
das hier nicht schreiben können.
Fazit: Ein unglaublich gutes und schönes Konzert in einer unglaublich schönen Stadt mit einem unglaublich miesen Nachtleben. Aber schön
war es doch!
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